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Eine Begegnung, die alles veränderte

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Es ist Montag, der 4. November 2024 und nichts deutet daraufhin, dass die kommende Begegnung mein Leben auf den Kopf stellen wird. Ich treffe einen Mann zu einem Date, er hatte mich via facebook-dating kontaktiert. Yves heisst er, wohnt in Winterthur, singt seit vielen Jahren in einem Chor, ist gelernter Jurist, leitete und gründete viele soziale Projekte im Ausland, ist Aussendozent und Referent an vielen Konferenzen zum Thema Menschenrechte sowie Autor. Von seiner persönlichen Geschichte wusste ich noch nicht viel, das würde sich aber rasch ändern.

Wir treffen uns bei mir im Geschäft in Kloten um 17 Uhr. Zuerst zeige ich ihm meine Sozialfirma und führe ihn auf beiden Stockwerken herum. Ich sage immer: Wer meine Sozialfirma sieht, sieht auch mein Herz und lernt mich auf diese Weise besser kennen. Er ist erfreut über mein Engagement und mein Herzblut, Menschen in schwierigen Lebenslagen zu begleiten.

Wir haben etwas Grosses gemeinsam, das uns tief verbindet: Für andere Menschen zu kämpfen, denen manchmal die Kraft oder die Mittel dazu fehlen und Hoffnungsträger für sie zu sein. Die Begegnung ist sehr schön und wir beschliessen, nach einem Spaziergang ein Abendessen beim benachbarten Thai-Restaurant anzuhängen. Wir stärken uns und geniessen ein feines Curry, dabei berichtet er mir mehr über sein eindrückliches Leben. Er ist als zweitjüngster von 7 Brüdern in Kamerun aufgewachsen und wurde in eine wohlhabende Familie geboren. Dies ermöglichte ihm, mehrere Studiengänge zu absolvieren – als Jurist, im Bereich Kommunikation und Personalwesen. Ein spannender Hintergrund gepaart mit vielen persönlichen Erlebnissen, die ihn zu einem sehr empathischen, weitsichtigen und reifen Menschen gemacht haben.

Schon früh wurde er als Mediator eingeladen, um zwischen den verhärteten Fronten der frankophonen und anglophonen Regionen in Kamerun zu vermitteln. Jedoch geriet er dazwischen und wurde sogar mehrfach angegriffen und angeschossen, was dazu führte, dass er auf der einen Seite sein Augenlicht verlor – viele Narben an seinem Körper zeugen von der erlittenen Gewalt.

Als Referent an internationalen Konferenzen berichtete er von der prekären Menschenrechtssituation in Zentralafrika und Kamerun, unter anderem an der UNO in Genf im Jahr 2018. Als die Regierung von Kamerum an dieser Konferenz anwesend war, spitzte sich die Lage zu und seine Familie in seinem Heimatland wurde bedroht. Somit suchte er in der Schweiz Asyl und eine Odyssee begann.

Als Person, die annimmt, dass klare Vorgaben und Gesetze im Asylverfahren herrschen und Fairness und Transparenz selbstverständlich sein sollten, bin ich auf dem Boden der Realität gelandet, als ich im Detail von Yves‘ Weg durch den Dschungel der Bürokratie erfahren habe.

Ich ging naiv davon aus, dass die reine Beweislast an seinem Körper schon klar aufzeigt, dass er in seinem Heimatland massiver Gewalt ausgesetzt war, ebenfalls gibt es viele Beweise, dass die Bedrohung in seinem Heimatland – auch gegenüber seiner Familie – gravierend und sehr real ist. Wie schockiert war ich dann zu hören, dass sein Gesuch mehrfach abgelehnt wurde. In seinem Buch „das Labyrinth“ zeigt er seinen Weg auf – von der Ankunft in der Schweiz und jeder „Station“ der unterschiedlichen Asylzentren (in denen Ankömmlinge leider viel zu oft wie Schwerverbrecher behandelt werden) bis hin zum Ablauf seiner Anhörung.

Es sei zu erwähnen, dass Yves nach kurzer Zeit in der Schweiz bereits so gut Deutsch gelernt hatte, dass er ein Buch in der deutschen Sprache verfasst hat. Ebenfalls nutzte er die Zeit des „Abwartens“ dazu, sich vielfältig für die Gesellschaft zu engagieren – er hat freiwillig Deutsch und Französisch unterrichtet sowie unbegleitete Minderjährige und Kinder von Migrantinnen und Migranten bei der Integration unterstützt.

Seit Sommer 2024 verfügt er nach mehreren Ablehnungen und Rekursen nun über eine B-Bewilligung und darf endlich in der Schweiz arbeiten. Ohne Vitamin B hat er eine 100% Stelle erhalten und startet am 1. Dezember 2024 bei der Stadt Wädenswil im Bereich Integration. Was für ein positives Beispiel einer gelungenen Integration – hoffentlich eine Inspiration für viele Menschen in einer ähnlichen Situation.

Yves weist jedoch auf einen sehr wichtigen Punkt hin: Er ist die Ausnahme, nicht die Regel. Sehr viele Flüchtlinge sind traumatisiert und haben schlicht nicht die Kraft, Zuversicht oder Energie, auf diese Art zu kämpfen, wie Yves dies tut und getan hat. Somit soll dies zwar als positives Beispiel dienen, man sich jedoch stets bewusst sein, dass seine Umstände besonders sind und er über eine ausgeprägte Resilienz verfügt, welche leider nur bei sehr wenig Personen in diesem Mass vorhanden ist. Aus diesem Bewusstsein heraus und mit einer dankbaren Haltung kämpft Yves weiter und setzt sich für ein humaneres Asylverfahren ein, auch durch regelmässige Referate in der ganzen Schweiz zu diesem wichtigen Thema.

Wer seine Geschichte im Detail mitverfolgen möchte, dem sei das untenstehende Buch wärmstens empfohlen sowie der Dokumentarfilm, welcher von vier Asylsuchenden handelt, die in der Schweiz das Asylverfahren durchlaufen haben – er ist einer der Protagonisten.

Es ist mir ein Anliegen, ebenfalls auf diese Willkür und Ungerechtigkeiten im Asylverfahren aufmerksam zu machen und entsprechend diesem wichtigen Thema in meinem bescheidenen Rahmen eine Plattform zu geben. Möge dies dazu dienen, dass immer mehr Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sich dringend etwas an diesem System ändern muss und wir alle in der Pflicht stehen, uns für die Menschen einzusetzen, die zu wenig gehört werden.

Verweise:
Das Labyrinth – Yves Pascal Honla, 2021
Die Anhörung – Dokumentarfilm von Lisa Gerig, 2023
Linkedin von Yves
instagram von Yves
tiktok von Yves

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